Trump Geburtshelfer der Vereinigten Staaten von Europa
die Androhung amerikanischer Strafzölle in Höhe von 50 Prozent auf alle europäischen US-Importe kann uns nicht mehr überraschen – auch wenn der US-Präsident sie nach einem Telefonat mit EU-Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen um gut einen Monat auf den 9. Juli verschoben hat. Klar ist: Trump ist – anders als John F. Kennedy – kein Berliner. Was aber überrascht (und schockiert) ist die Gleichgültigkeit, mit der auch die europäischen Freunde in den USA diese aggressive Handelspolitik zur Kenntnis nehmen. Im Schweigen vereint: Die großen Denkfabriken in Washington wie Brookings und der German Marshall Fonds, die Investmentbanken der Wall Street und die führenden Politiker der Demokraten rühren keine Hand für ihre europäischen Freunde. Plötzlich heißt es überall: Man kauft nicht bei den Europäern. Und falls doch, brummt man ihnen einen Strafzoll auf, der sich gewaschen hat. Das ist der neue Washingtoner Konsensus: vom Wir zum Ich. „Der lange Weg nach Westen“, von dem der Historiker Ernst August Winkler sprach, endet unvermittelt. Und zwar nicht, wie viele glaubten, in einem politischen Paradies, sondern in einer Sackgasse. |
EU konnte einst mithalten |
BIP pro Kopf in den EU-Industriestaaten* im Vergleich zu den USA, in Tausend Kaufkraftparitäten-Dollar, Preisstand 2021 |

Die Folgen werden alle EU-Regierungen und ihre Bürger in diesem Jahr schon spüren. Für den Euroraum erwartet der IMF ein Wachstum von 0,8 Prozent im Jahr 2025 und 1,2 Prozent im Jahr 2026, eine Reduzierung um 0,2 Prozentpunkte in beiden Jahren gegenüber der IMF-Prognose im Januar. Fakt ist: Dieser Zustand ist die neue Wirklichkeit, aber nicht das Schicksal. Europa hat sechs handfeste Möglichkeiten, die Situation zum Besseren (und auch zum deutlich Besseren) zu verändern. #1 Den EU-Binnenmarkt vollenden Europa ist weit gekommen, aber der Binnenmarkt bleibt unvollständig. Laut dem Internationalen Währungsfonds entsprechen die internen Handelsbarrieren innerhalb der EU durchschnittlichen Zöllen von 44 Prozent für Waren und 110 Prozent für Dienstleistungen. Alfred Kammer, der für Europa zuständige IMF-Direktor, sagt: ![]() Eine vollständige Integration des Binnenmarkts würde enorme Vorteile bringen. Unsere Modellrechnungen zeigen, dass bereits eine Reduktion der Handels- und Produktionsbarrieren innerhalb der EU um zehn Prozent das gesamteuropäische BIP um rund sieben Prozent steigern könnten. “ Das bedeutet: Europa hat es selbst in der Hand, sich zu entfesseln. #2 Kapitalmarktunion starten Nationale Aktienmärkte führen zu erheblichen Ineffizienzen bei der Kapitalallokation. Sie sind nicht vergleichbar liquide wie die Nasdaq oder der Dow Jones. In Europa gibt es bis heute keinen europäischen Markt zur Finanzierung von Unternehmen und Start-ups. Das Ergebnis: Die USA halten einen Anteil von 52 Prozent am globalen Venture-Capital-Markt, während die EU lediglich fünf Prozent erreicht. Eine bessere Durchblutung der Gründerlandschaft könnte Wunder wirken und einen Innovationsschub in Europa auslösen. #3 Bessere Integration des europäischen Strommarkts. Der fragmentierte europäische Energiemarkt ist eine Wachstumsbremse erster Güte. Keine kompatiblen Leitungssysteme. Fehlende Preistransparenz. Null Skaleneffekte. IMF-Experte Kammer dazu: Der starke Anstieg und die Volatilität der Energiepreise nach der Invasion sowie die Stromausfälle im vergangenen Monat in Spanien und Portugal unterstreichen die Dringlichkeit einer koordinierten europäischen Energiepolitik und des Aufbaus einer integrierten Energieinfrastruktur. “ |
Billiger Strom in den USA |
Strompreis in US-Dollar je Megawattstunde |

#4 Arbeitskräftemobilität erhöhen Es kann bis zu sechs Monate dauern, bis ein EU-Arbeitnehmer nach einem Umzug in ein anderes EU-Land dort rechtmäßig arbeiten kann. Die Arbeitsmärkte sind durch Bürokratie zum Teil hermetisch gegeneinander abgeriegelt. Das Ergebnis ist negativ: Arbeitsmärkte in den USA passen sich innerhalb von fünf Jahren vollständig an regionale Nachfrageschocks an, die zum Beispiel durch den Wegfall einer Fabrik oder ganzer Branchen wie Kohle und Stahl ausgelöst werden. Der Anpassungsprozess in Europa – siehe das Ruhrgebiet – dauert mindestens zehn Jahre, also doppelt so lange wie in den USA. |
Arbeitsmobilität: EU vs. USA |
Prozentsatz der EU- und US-Bürger, die in einem anderen Land (EU) bzw. Bundesstaat (USA) leben und arbeiten als in dem, in dem sie geboren wurden |

#5 Buy European Kauft europäisch – so lautet die Devise zahlreicher Internetnutzer seit dem Beginn von Trumps Handelskrieg. Unter #buyeuropean wird auf Alternativen zu beliebten US-Produkten wie Coca-Cola, Heinz Ketchup oder Levi’s Jeans aufmerksam gemacht. Daraus entstanden ist die von Freiwilligen betriebene Website GoEuropean.org – eine Datenbank mit Suchmaske, um Produkte von Erdnussbutter, Smartphones oder Sportbekleidung Made in Europa zu identifizieren. Auch Panzer, Kampfjets und Co. sollen in Zukunft vorrangig aus Europa kommen. Die 150 Milliarden Euro, die die EU ihren Mitgliedstaaten für den Kauf von Waffen zur Verfügung stellt, müssen zu 65 Prozent von Rüstungsunternehmen der Union, der Ukraine oder aus Großbritannien stammen. #6 Welcome back, Great Britain Die EU und Großbritannien nähern sich fast zehn Jahre nach dem Brexit wieder an. Der Slogan von Brexit-Sieger Boris Johnson („To take back control“) hat sich nicht ausgezahlt. Amerika ist auch von den Briten abgerückt. Der neue britische Premier Keir Starmer erklärte vergangene Woche: Es ist Zeit, nach vorne zu blicken – die alten politischen Auseinandersetzungen hinter uns zu lassen und pragmatische Lösungen zu finden, die das Leben der Briten verbessern. “ Fazit: Die europäische Fragmentierung erhöht die Kosten, schadet der Wachstumsdynamik und sorgt außenpolitisch für tausend Jahre Einsamkeit. Aber wenn diese Bremsen gelockert werden, hat Europa Chancen, im Konzert der großen Mächte mitzuspielen. Vielleicht ist Trump nicht nur der Totengräber der bisherigen Welt, sondern zugleich der Geburtshelfer der Vereinigten Staaten von Europa. |