Wäre Olaf Scholz nicht Regierungschef, sondern ein Mineralwasser, stünde auf dem Etikett „non-sparkling“.
Mit einer geradezu provokanten Sturheit stapfte der Kanzler durch die Probleme des deutschen Arbeitsmarktes, ohne sie auch nur zu berühren. Was gestern die Massenarbeitslosigkeit war, ist heute der Fachkräftemangel. Die Firmen rufen, jammern, flehen. Aber der Bundeskanzler spielt stilles Wasser: Da zischt und sprudelt nichts.
Dabei gebe es eine andere, deutlich schlichtere Lösung gegen die Knappheit: mehr arbeiten.
Warum das wichtig ist? Weil ohne Extra-Aufwand die Fachkraft von morgen aussieht, wie die Fachkraft von heute. Viele Leistungsträger – das kommt hinzu – würden gerne Überstunden leisten, wenn sie denn wüssten, dass sie dafür belohnt und nicht extra hart geschröpft würden.
Doch der massenhaften Mehrarbeit steht ein rigides deutsches Steuersystem entgegen. Von jedem Euro, den ein Arbeitnehmer zusätzlich verdient, zieht der Bund einen Großteil wieder ab. Je mehr ein Arbeitnehmer verdient, desto härter schlägt die Progression des Steuertarifs zu. Das deutsche Steuersystem wirkt wie eine Strafsteuer auf Mehrarbeit.
Der amerikanische Thinktank „Tax Foundation“ und die deutsche Denkfabrik „Prometheus“ haben genau das untersucht, sie veröffentlichen jährlich den „Index der internationalen Steuerwettbewerbsfähigkeit“.
In dem Index heißt es zur Besteuerung von Arbeit:
„ Hohe persönliche Steuertarife machen Zusatzarbeit teurer – was die relativen Kosten der Nichtarbeit senkt. “ |
Im Vergleich mitanderen OECD-Ländern hat nur Belgien eine höhere Gesamtbelastung (53 Prozent der Lohnkosten eines Durchschnittsverdieners).
Fazit von Alexander Mengden, Analyst der Tax Foundation und Autor des Papiers:
„Die hohe Abgabenlast in Deutschland schwächt die Arbeitsanreize und verschärft dadurch den Fachkräftemangel. Arbeitnehmer werden demotiviert, mehr zu arbeiten. “
Estland zum Beispiel setzt in der Spitze auf einen maximalen Steuertarif in Höhe von 21,6 Prozent – und kommt im Ranking, das auch die Komplexität des Steuersystems und Verzerrungen etwa durch die Kapitalertragsteuern berücksichtigt, auf den ersten Platz.
Zwar gibt es in Deutschland Freibeträge bei Überstunden. Aber nur für die ersten zehn Überstunden im Monat gibt es maximal 50 Prozent des Grundlohns und höchstens 86 Euro steuerfrei.
Die CDU will Zusatzarbeit attraktiver machen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagt:
„Der Staat sollte mehr Leistung belohnen: Wer mehr als 40 Stunden arbeitet, sollte auf die Zusatzstunden keine Steuern mehr bezahlen. Es fielen dann nur noch Sozialabgaben an. “
Auch im FDP-Programm findet sich diese Forderung:
„Heute steigt die Steuerlast bei kleinen und mittleren Einkommen besonders schnell an. Von Gehaltserhöhungen greift sich der Staat mehr als die Hälfte. Das ist leistungsfeindlich und ungerecht. “
Bundeskanzler Scholz aber weigert sich, anders als damals Bundeskanzler Gerhard Schröder, die Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt zu seinem Thema zu machen. Er hört die Klagen. Aber er reagiert nicht. Er sieht die Not. Aber er beseitigt sie nicht.
Dabei müsste er nur auf die europäischen Nachbarländer schauen, um zu lernen, wie man pragmatisch auf die demographische Dürre am Arbeitsmarkt reagiert:
Beispiel Frankreich
Genau den Schritt, den CDU und FDP fordern, ist Frankreich bereits vor Jahren gegangen: 2019 hat der französische Staat die Regelung eingeführt, dass Überstunden von Steuern und Abgaben befreit werden.
Das bedeutet konkret, dass Überstunden für die Arbeitnehmer von Sozialabgaben und Steuern befreit sind, sodass die Arbeitnehmer netto mehr übrig haben. Diese Steuerbefreiung gilt bis zu einem Höchstbetrag von 5.000 Euro pro Jahr.
Frankreichs Arbeitgeber müssen laut Gesetz ihre Arbeiter bei Überstunden sowieso schon mit 125 Prozent Vergütung entlohnen, seit 2019 ist der Anreiz zum längeren Arbeiten noch stärker. Die Wirkungen davon sind enorm: Die Franzosen arbeiteten im vergangenen Jahr im Durchschnitt etwa 150 Stunden mehr als die Deutschen.
Beispiel Österreich
Bislang war die Regelung der Freibeträge in Österreich ähnlich wie in Deutschland. Höchstens zehn Überstunden im Monat mit 50 Prozent beziehungsweise maximal 86 Eurowaren steuerfrei.
Vergangenen Monat entschloss sich die österreichische Regierung zur Kurskorrektur: Das Kabinett legte fest, dass der monatliche Freibetrag für dann 18 Überstunden gelten und bis zu 200 Euro im Monat betragen soll. „Wir entlasten diejenigen, die viel leisten“, sagte der österreichische Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), der die Maßnahme auch als sinnvoll im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Arbeitskräftemangel ansieht.
Beispiel Slowakei
Die Slowakei stellte im Jahr 2004 ihr Steuersystem komplettum und führte eine sogenannte Flat Tax ein. Statt eines Anstiegs der Steuerquote mit der Höhe des Einkommens gibt es nun einen fixen Steuersatz.
Konkret wurde die Einkommensteuer radikal von fünf auf eine einzige Steuerklasse reduziert: Statt 10, 20, 28, 35 oder 38 Prozent zahlen die Slowaken nur noch 19 Prozent Steuer auf ihr Einkommen.
Den Arbeitnehmern wird so eine komplizierte Steuererklärung abgenommen. Und sie werden zur Arbeit motiviert, weil sie mit steigendem Einkommen keine höheren Abgaben befürchten müssen. Um den Wegfall der Steuereinnahmen zu kompensieren, strich der slowakische Staat Steuervergünstigungen und erhöhte die Mehrwertsteuer.
Die Einfachheit eines Steuersystems ist laut Prometheus-Studie ein Wert an sich. Deutschland leiste sich mit dem Solidaritätszuschlag neben Japan, Korea und Luxemburg als fast einziges Land eine Zusatzsteuer auf das Einkommen, die den Grenzsteuertarif eines Singles ab einem Einkommen von 65.000 Euro um 2,5 Prozentpunkte auf 47,5 Prozent erhöht. Die Strafsteuer auf Arbeit wird dadurch verschärft.
Fazit: Das progressive deutsche Steuersystem hält Menschen von der Arbeit ab – insbesondere von der Mehrarbeit. Viele Fachkräfte fehlen ja nicht per se dem Land, sie sind nur nicht am Arbeitsplatz. Wenn Scholz an einem beliebigen Werktag die Innenstadt einer beliebigen Stadt, ob Husum, Herne oder München, besuchen würde, könnte er sie alle treffen. Deutschland braucht eine Willkommenskultur – auch für die eigenen Arbeitnehmer.
Schreibe einen Kommentar